Experten-Blog

Mobile Additive Fertigung zur Verkürzung von Lieferketten

Marcus Heilemann und Alexander Pettke /

Die Lieferketten von Waren und Dienstleistungen sind durch die globale Vernetzung zunehmend komplexer geworden. Einzelne Ausfälle innerhalb einer Lieferkette können zur Störung der gesamten Kette führen, wie die aktuelle Pandemie deutlich gezeigt hat. Aber auch ohne Pandemie kann es abseits stabiler Versorgungsrouten zu Engpässen kommen. Eine Neugestaltung der traditionellen Lieferketten bspw. durch die additive Fertigung kann hierbei Abhilfe schaffen. Dank der Fortschritte aus der Forschung und Entwicklung in diesen Technologien haben bereits heute einige Unternehmen ihre Lieferketten neugestaltet, um flexibler auf Veränderungen zu reagieren und Engpässe zu vermeiden.

© Lina Holz
Ein Roboterarm bildet das Herzstück der additiven Fertigungszelle im Standard-Seecontainer.

Besonders dort, wo durch Stillstandszeiten hohe Ausfallkosten entstehen, sollten Systeme eingesetzt werden, die bei Störung oder Teilausfällen nicht gänzlich versagen, sondern ein einen Notbetrieb aufrechterhalten können. Diese Fähigkeit von Systemen zur Resilienz sollte besonders in solchen Fällen stark ausgebaut sein. So können sich beispielsweise im Offshore-Bereich der Ölplattformen oder der Energieturbinen die Kosten für einen Ausfall schnell auf eine Million Euro pro Tag belaufen. Aber nicht nur hohe Kosten können eine Motivation sein, um Lieferketten resilient zu gestalten. Auch die Sicherstellung der Ersatzteilversorgung an Orten ohne stabile Lieferkette, wie es bspw. in kurzfristig entstehenden Katastrophengebieten der Fall sein kann, ist ein weiterer Grund.

Um im Falle eines Ausfalls schnell reagieren zu können und Stillstandszeiten zu minimieren, werden heutzutage große Ersatzteillager vorgehalten. Die gelagerten Bauteile sollen sicherstellen, dass Maschinen und Anlagen möglichst schnell wieder laufen können. Allerdings ist der Unterhalt solcher Lager kostenintensiv und unflexibel. Nicht selten werden in den Lagern Ersatzteile im Wert von vielen Millionen vorgehalten, die allein der Ausfallsicherung dienen, jedoch größtenteils nie abgerufen werden.

Wie kann nun die Additive Fertigung helfen, Lieferketten resilient zu gestalten und gleichzeitig kostenintensive Lager abzubauen? Bereits jetzt wird die Additive Fertigung genutzt, um Ersatzteile auf Anfrage herzustellen und damit Lagerbestände zu reduzieren. Eine Weiterführung der Idee ist, dass die Unternehmen Bauteile nicht mehr nur auf Anfrage, sondern auch direkt vor Ort drucken können. Die verkürzten Transportwege senken nicht nur die Kosten, sondern auch die Lieferzeit. Allerdings besteht nicht an allen Einsatzorten, an denen die Bauteile benötigt werden, die notwendige Infrastruktur, um sie zu drucken. Die Lösung bieten mobile Einheiten, die als eigenständige Produktionszellen je nach Bedarf an unterschiedlichen Orten einsetzbar sind.

Unternehmen aus dem Offshore-Bereich zeigen bereits Interesse an einer solchen Lösung und reparieren bspw. bereits heute einige Bauteile direkt vor Ort mit unterschiedlichen Schweißverfahren. Ein weiteres Einsatzgebiet ist der Pipelinebau. Die Pipelines werden in Wanderbaustellen teilweise durch unerschlossene Gebiete verlegt. Defekte an der Pipeline oder beschädigtes Equipment für die Verlegung lässt sich mit einer mobilen Fertigungseinheit direkt vor Ort reparieren. In Katastrophengebieten kann die Lösung im Rahmen der Erstversorgung zum Einsatz kommen. Mit der mobilen Einheit ist es Hilfsmannschaften vor Ort möglich, fehlende oder beschädigte Bauteile zu drucken bzw. zu reparieren und notwendige Ausrüstung herzustellen, um die Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Wartezeiten bis notwendiges Material in dem Gebiet zur Verfügung steht, lassen sich mit der Möglichkeit vor Ort zu fertigen reduzieren. Auch Unternehmen mit einer stationären Fertigung können die Lösung für sich nutzen. Durch einen Anlagenausfall oder durch eine sprunghaft gestiegene Nachfrage können Unternehmen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Die mobile Fertigungseinheit dient dann als Puffer, um die vorhandenen Anlagen zu entlasten. Reichen die vorhandenen stationären Produktionskapazitäten wieder aus, wird die mobile Fertigungseinheit zurückgebaut.

Am Fraunhofer IAPT wird dafür solch eine mobile Fertigungslösung entwickelt. In einen Standard Seecontainer wird Equipment für den metallischen 3D-Druck installiert und an die Beschaffenheit des Containers angepasst. Die Container haben wahlweise eine Länge von 10 ft (2,99 m), 20 ft (6,06 m) oder 40 ft (12,19 m) und bieten bei einer Breite von 2,44 m und 2,59 m Höhe genügend Arbeitsraum, um am Einsatzort zu fertigen. Dank der standardisierten Maße eignen sich Seecontainer sehr gut für den weltweiten Transport mittels LKW, Zug, Schiff und Flugzeug. Ein erster mobiler additiver 10 ft Fertigungscontainer ist bereits jetzt im Forschungsbetrieb. In dem Container werden Bauteile mittels roboterbasiertem Wire Arc Additive Manufacturing (WAAM, deutsch: Lichtbogendraht-Auftragschweißen) gedruckt. Bei dem zu der Directed Energy Deposition (DED, deutsch: Auftragschweißverfahren) Gruppe zählenden Verfahren wird ein Metalldraht durch einen Lichtbogen aufgeschmolzen. Da sich nahezu alle schweißbaren Drähte verarbeiten lassen, steht dem Anwender eine große Materialvielfalt zur Verfügung. Außerdem eignet sich das Drahtmaterial im gut für den mobilen Einsatz, da es gegenüber Umwelteinflüssen widerstandsfähig ist und die Anforderungen an ein sicheres Handling niedriger sind.

Zur Nachbearbeitung der Bauteile ist im Container eine Post-Processing Station integriert, an der die Bauteile mit einer Frässpindel zerspant werden. In zukünftigen Versionen des mobilen Fertigungscontainers werden Unternehmen die Möglichkeit haben, aus unterschiedlichen Additiven und Nachbearbeitungsverfahren zu wählen. Erweiterungen des Funktionsumfangs auf weitere Pre-Prozess und Qualitätssicherung Schritte sind ebenso denkbar. Die Kombination aus unterschiedlichen Additiven Verfahren und Nachbearbeitungsverfahren ermöglicht es Unternehmen, spezifischer auf die Anforderungen ihrer Bauteile und den Einsatzort einzugehen.

Damit Unternehmen vor Ort in ausreichender Qualität fertigen können, benötigen sie nicht nur Zugang zu dem notwendigen Equipment, sondern müssen auch die Produktionsabläufe steuern und dokumentieren können. Für diesen Zweck steht ein Prozess Manager Softwaretool zur Verfügung. Dieser vereinfacht die Arbeitsabläufe durch Zusammenfassung einzelner Arbeitsschritte in einer Softwareumgebung. Dem Bediener des Fertigungscontainers werden durch dieses Tool bei dem Datenmanagement entlastet und können sich auf die Vorbereitung von Baujobs konzentrieren. Der Prozess Manager ermöglicht es beispielsweise in der Arbeitsvorbereitung Prozessparameter zu zuweisen und die Roboterbahnen automatisiert zu exportieren. Dies hat den Vorteil, dass Dateien nicht in andere Dateiformate umgewandelt werden müssen. In der Anwendung reduziert dies den Aufwand zur Datenbereinigung und Weiterverarbeitung und kann im besten Fall sogar vor Informationsverlusten durch Konvertierungen schützen. Außerdem werden in der Software Daten über den Prozessablauf und Daten über die Bauteilhistorie zugänglich gemacht.

Das Prinzip eines mobilen additiven Fertigungscontainers hat das Potenzial Lieferketten in Zukunft zu verändern und resilienter zu gestalten. Voraussetzung dafür ist eine stetige Weiterentwicklung der Additiven Fertigungstechnologien, sodass robuste Prozesse für einen mobilen Einsatz geschaffen werden, die mit zuverlässiger Qualität und möglichst automatisiert arbeiten.

Ihr Marcus Heilemann und Alexander Pettke