Experten-Blog

Ausfallsichere Liefer- und Produktionsnetzwerke

Heinrich Frye, Andreas Gade, Olaf Poenicke, Klaus Richter, Sebastian Stütz /

Die erhöhte Ausfallsicherheit von Liefer- und Produktionsnetzwerken ist ein Teilziel des Innovationsprogramms. Im gleichnamigen Themenfeld werden zwei Teilprojekte bearbeitet: Im ersten werden die Liefer- und Logistiknetze betrachtet. Hier geht es vor allem um die Gestaltung sicherer und adaptiver Liefernetze für Produktionsnetzwerke. Im zweiten Teilprojekt steht die Sicherstellung der Rohstoffversorgung im Mittelpunkt. Im Folgenden wird hier auf die Liefer- und Logistiknetze näher eingegangen.

© Lina Holz
Unsere Lösungsansätze erstecken sich über den gesamten Resilienzzykluns: (1) Vorbereitet sein (2) Erfassen (3) Erkennen, messen, bewerten (4) Resilient gestalten (5) Entscheiden und handeln

Problemdarstellung - Liefer- und Logistiknetze

Das Themenfeld Liefer- und Logistiknetze befasst sich einerseits mit den Potentialen von Logistikdienstleistungen für die Erhöhung der Resilienz von Produktionsnetzwerken und andererseits mit der Stellung der Logistik in Produktionsnetzwerken im Hinblick auf deren Resilienzfähigkeit. Zusammengefasst: Wie resilient ist die Logistik selbst und wie beeinflusst sie die Resilienz von Produktion?

Generell wird die Logistik nicht als Bestandteil der Produktion, sondern als Querschnittsfunktion für die Produktionsnetzwerke aufgefasst. Die Rolle der Logistik umfasst die Versorgung der Produktion - die Supply Chain für Rohstoffe, Zulieferungen und Produktionsstufen - sowie die Verteilung und Weiterleitung der produzierten Güter - Distribution und Handel. Damit ist die Logistik in der Lage, die wirtschaftlichen Produktionsleistungen in den Unternehmen über die Güterflüsse in den Netzwerken der Logistik zu erfassen, zu analysieren und damit frühzeitig mit den Produktionsunternehmen zu interagieren, abhängig von spezifischen ökonomischen, ökologischen oder sozialen Zielen. (siehe auch BVL-Positionspapier zum Grundverständnis der Logistik als wissenschaftliche Disziplin. 2010 https://www.bvl.de/positionspapier)

 

Logistik in Bezug auf Produktion ist vor allen zu unterscheiden nach einer sehr kundenspezifischen Ausprägung im Sinne einer verlängerten Werkbank - der Kontraktlogistik - und der Nutzung universeller Angebote und Services - der Dienstleistungslogistik. Die erbrachten Logistikleistungen sind in beiden Fällen im Kern der Umschlag, die Lagerung und der Transport.

Insgesamt spielt die Resilienz von logistischen, verkehrlichen und informationstechnischen Infrastrukturen für beide Ausprägungen der Logistikleistungen eine sehr große Rolle. Der Ausfall von Gebäudekapazitäten, Störungen in der Datenkommunikation oder die Unterbrechung von Verkehrswegen durch Naturkatastrophen oder feindliche Attacken sind populäre Ereignisse, die die Resilienzfähigkeit der Logistik herausfordern.

Resilient heißt vorbereitet, anpassungsfähig und handlungsfähig sein. Gute Handlungsmuster bieten der klassische Spediteur, aber auch die Polizei/Feuerwehr und Kriseneinsatztruppen. Deren Basis sind Know-how, Qualifizierung und Training, strategische Konzepte und generische Maßnahmenpläne. Krisenereignisse sind keine Routinefälle.

Wichtig ist, überhaupt und rechtzeitig zu erkennen, dass Resilienz gefordert ist. Hierfür braucht man Informationen, aber auch Maßstäbe, um z.B. zu bewerten, ob es sich um eine kritische oder noch normale Situation handelt. Bezüglich der Verfügbarkeit gewichteter Daten bzw. Indikatoren bestehen noch große Lücken.

Und schließlich muss man aus ähnlichen sowie weiter fortgeschrittenen Diskussionsbereichen wie dem Risikomanagement und der Gestaltung sicherer IT-Infrastrukturen lernen und übernehmen (siehe KRITIS - Schutz Kritischer Infrastrukturen).

Wichtig ist auch, Zielgruppe und Zielsetzung richtig zu adressieren. Die Produktionsbranche ist immer noch für die Logistik zu sensibilisieren. Die Logistikbranche mit den vielfältig auch unabhängig voneinander agierenden Logistikdienstleistern muss Resilienz als Aufgabe erkennen. Der Finanz- und Versicherungssektor muss aufgrund der Kosten und Risiken ebenso Resilienz einfordern wie die Politik.

Insgesamt ist damit ein Problemfeld aufgespannt, welches nicht nur die Fraunhofer-Kompetenzen in der Logistik benötigt, sondern auch die Einbeziehung und Integration vieler anderer Unterstützer und Entscheider im Hinblick auf Lösungen, Maßnahmen und Regelungen.

Unsere Lösungsansätze

Die ausgewählten Lösungsansätze erstrecken sich über alle Phasen des Resilienzzyklus (siehe Bild).

  • Indikatoren / Kennzahlen

Resiliente Lieferkonzepte sind eine zentrale Voraussetzung für eine sichere Versorgung. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, über Erfahrungen bei der Identifikation, Entwicklung und Strukturierung von Resilienzindikatoren zu verfügen. Hierbei werden verschiedene Betrachtungsebenen einbezogen, so dass Resilienzindikatoren nicht nur für Liefer- und Logistiknetzwerke erhoben werden, sondern auch für Verkehrsinfrastrukturen der verschiedenen Verkehrsträger. Die Planung und Überwachung von widerstandsfähigen und belastbaren Lieferkonzepten und -prozessen sollte auf Basis dieser Indikatoren und Kennzahlen durchgeführt werden, um nach dem Auftreten von Beeinträchtigungen die Auswirkungen auf die Logistik erkenn- und bewertbar zu machen.

  • Informationen und Daten

Eine zentrale Datengrundlage für die Resilienzindikatoren stellen die von den Logistikobjekten und
-prozessen verfügbaren Daten dar. Im Zuge der Digitalisierung von Logistikprozessen durch den Technologieeinsatz auf Objektebene mit definierten Scanpunkten in den langen Logistikketten (z.B. bei Warenein- und -ausgängen) stehen zunehmend umfangreichere Daten zur Verfügung. Technische Herausforderungen liegen hier in den vielfältigen, sich auch ständig verändernden Frachtkennzeichnungen und den damit verbundenen Anforderungen an robuste Auto-ID-Technologien, in der Durchgängigkeit der Datenverfügbarkeit sowie in der Konsistenz der Daten über komplexe Logistikketten. Die echtzeitnahe Verfügbarkeit von Informationen zur Fracht als Logistikobjekt steigert die Reaktionsfähigkeit auf Anomalien in der Logistik deutlich, weil sie damit die wirtschaftliche Produktionsleistung des einzelnen Unternehmens erfasst - ein wesentlicher Beitrag zur Resilienzphase Prevent. Technische Lösungen zum Frachtscan mit der Erfassung unterschiedlichster Frachtmerkmale bieten weiterhin Potenziale für die Resilienzphase Recover – z. B.  im Falle eines Datenverlusts im IT-System (z.B. durch Cyber-Attacken). Im Projekt wird ein Demonstrator für einen solchen Multi-Sensor-Scan entwickelt.

  • Konzepte und Gestaltungsmuster

Die Entwicklung von Konzepten und Gestaltungsmustern für resiliente Logistikszenarien sowie die logistische Unterstützung einer resilienten Produktion umfasst u.a. folgende Themen:

·       Resiliente Gestaltung der Infrastrukturen,

·       rechtzeitige und umfassende Datenverfügbarkeit,

·       anpassungsfähige Struktur und Organisation,

·       Qualifizierung und Improvisationsfähigkeit,

·       generische Maßnahmenpläne,

·       Fähigkeit zur Rekonstruktion und Wiederherstellung,

·       Austauschbarkeit und Kollaboration von Serviceprovidern,

·       Vermeidung von Kosten für Sicherheitsbestände und Redundanz.

Aussicht - Logistik als Service für die resiliente Produktion

Die Logistik als Wissenschaftsdisziplin ist in der Lage, die wirtschaftlichen Vorgänge der Produktionsunternehmen über Güterflüsse sowie die Struktur der Netzwerke und Akteure hinsichtlich deren Resilienz zu bewerten.

Auf mikro-, meso- und makrologistischer Ebene ermöglicht die gemeinsame Diskussion von Bedrohungsszenarien für verschiedene Stakeholder wie Unternehmen, Branche, Region, Legislative die Ableitung von Maßnahmen. Nach Lokalisierung und Priorisierung von Handlungsfeldern zur Resilienzsteigerung im Unternehmen erfolgt die Erarbeitung von Handlungsoptionen und Maßnahmen zur Bewältigung des Zielkonflikts Resilienzsteigerung vs. Kostensenkung: Für die Akzeptanz ist eine „optimale Balance von Resilienz und Kosten“ entscheidend.

Die generische Anpassungsfähigkeit und hohe Flexibilität logistischer Netze fördert die Entwicklung und Umsetzung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle für resiliente logistische Dienstleistungen und Infrastrukturen, die damit die Leistungsfähigkeit von komplexen Produktionsnetzen absichern.

Die operative Absicherung von Wirtschaftsprozessen basiert auf der Verfügbarkeit von belastbaren Resilienz-Indikatoren und Echtzeit-Informationen an den physischen Warenübergängen, die immer als Gefahrenübergang zwischen zwei Stakeholdern innerhalb von Logistiknetzen anzusehen sind. Multi-Sensor-Scans werden zukünftig über die primäre Erfassung der Frachtidentifikationsnummer hinaus den Zustand der Fracht umfassend erfassen, bewerten und im Störungsfall ggfs. Maßnahmen zur Wiederherstellung/Verbesserung des Systemzustands im Logistiknetzwerk auslösen.

Ihre Experten

Heinrich Frye, Andreas Gade, Olaf Poenicke, Klaus Richter und Sebastian Stütz