Experten-Blog

Fähigkeitsbasierte Zellensteuerung am Beispiel einer Fräszelle

Rudi Seidel/ Torben Wiese/ Arvid Hellmich/ Christian Friedrich /

Unterschiedliche Produkte benötigen verschiedene Fertigungsverfahren in unterschiedlicher Reihenfolge - klar! In der Matrixproduktion gibt es individuelle, aber ähnlich gestaltete Produktionszellen mit entsprechenden Portfolios an Fertigungsverfahren. Innerhalb der Zelle unterscheiden sich Handhabungsbewegungen und Fertigungsprogramme von Produkt zu Produkt. Wer programmiert diese vielen verschiedenen Abläufe? Stellen Sie sich vor, die Programme in Bewegungsabläufe ließen sich ähnlich schnell anpassen und rekonfigurieren wie Apps auf einem Smartphone.

© Andrine Theiss

Steuerungstechnik in der Matrixproduktion

Die gesteigerte Individualisierung von Produkten und Konsumgütern führt zu immer kleineren Losgrößen und einer Vielzahl an Produktvarianten. Eine Fertigung am klassischen Fließband mit starren Strukturen und starrer Automatisierung wird für diese zunehmend unrentabel. Die Matrixproduktion bietet hierfür eine Antwort: Die Produktionsstätte besteht aus matrixförmig angeordneten unabhängigen Fertigungszellen, die über Transportsysteme flexibel verkettet sind. Jedes Bauteil wird zu den zur Herstellung notwendigen Zellen transportiert und dort bearbeitet. Somit erfährt es nur die individuell benötigten Fertigungsschritte auf Zellen, die aktuell freie Kapazitäten haben. Sogar die Reihenfolge der Fertigungsschritte kann, sofern das Werkstück und die Prozesskette dies zulassen, individuell und flexibel gestaltet werden. Produktionssysteme und –stätten werden hierdurch effizienter und resilienter.

 

Die Automatisierung der Matrixproduktion bringt neue steuerungstechnische Herausforderungen mit sich. Durch die gewünschten, individuellen Fertigungsfolgen ist die klassische, aufgabenorientierte Ablaufsteuerung nicht länger einsetzbar. Es besteht die Notwendigkeit die gewonnene anlagentechnische Flexibilität auch steuerungstechnisch abzubilden. Stattdessen wird neben einer flexiblere Auftragssteuerung, welche die Fertigungsaufträge an die Zellen übergibt, eine deutlich flexiblere Steuerung auf Zellenebene erforderlich um Roboter, Werkzeugmaschinen und weitere Betriebsmittel in den Zellen flexibel anzusprechen. In jedem Fall muss die Anlagensteuerung mit der Auftragssteuerung interagieren.

Eine Matrixzelle ist hierbei eine lokal abgetrennte Gruppe von Betriebsmitteln (z.B. Maschinen oder Robotern), die miteinander agieren können. Jedes Betriebsmittel hat Aktionen und Fähigkeiten inne, die herkömmlicherweise durch ihre Maschinensteuerung bereitgestellt werden. Eine sehr hohe Komplexität ist die Folge. Somit ist es nur naheliegend, die geometrische Clusterung der Betriebsmittel in Zellen auch steuerungstechnisch durch eine Modularisierung von Fähigkeiten (Kapselung von Skills zu Jobs und Zellenprogrammen) fortzusetzen.

Dies kann durch die Abkehr von der aufgabenbezogenen Steuerung hin zur fähigkeitsbasierten Steuerung realisiert werden. Hierin liegt der Forschungsschwerpunkt des IWU in SE.MA.KI.

Intuitive Programmierung von Matrixzellen

Wir entwickeln eine fähigkeitsbasierte Anlagensteuerung auf Zellebene. Diese bündelt die Fähigkeiten der einzelnen Betriebsmittel der Zelle zu Zellfähigkeiten und stellt diese geeignet bereit. So kann die Auftragssteuerung die Fertigungsaufträge fähigkeits- und kapazitätsbasiert auf die Zellen verteilen.

Die Steuerung auf Zellebene ermöglicht einen hierarchischen, fraktalen Steuerungsansatz für die gesamte Produktionsstätte. Die Steuerung einer jeden Ebene greift auf die Fähigkeiten der ihr unterliegenden Maschinen- oder Anlagenelemente zu und bündelt diese zu neuen Fähigkeiten, welche höheren Ebenen transparent gemacht werden.

Die Maschinensteuerung wird modular programmiert. Jedem Betriebsmittel in einer Zelle wird ein unabhängiges Steuerungsmodul zugeordnet, welches entweder auf einer dezentralen Steuerung des Betriebsmittels oder auf der Leitsteuerung der Zelle ausgeführt wird. Jedes Steuerungsmodul stellt für die übergeordneten Steuerungen eine oder mehrere parametrierbare Fähigkeiten des jeweiligen Betriebsmittels zur Verfügung.

Stellen Sie sich folgendes Beispielszenario vor:

Um einen Montageprozess zu ermöglichen ist eine Matrixzelle mit 4 Robotern ausgestattet. Jeder dieser Roboter bietet seine grundlegenden Funktionen, bspw. die »Punkt-zu-Punkt-Steuerung« oder „Geradeninterpolation“ als Fähigkeiten an. Kombiniert mit einem Greifer und dessen Fähigkeit können übergeordnete Fähigkeiten wie »Bauteil greifen und bewegen« oder »Schraube montieren« für verschiedene Roboter-Greifer-Systeme abstrahiert orchestriert werden. Auf der Ebene der Matrixzelle können dann die Prozesse vollständig aus diesen Fähigkeiten zusammengesetzt werden. Bediener erhalten zu diesen Prozessfähigkeiten individuellen Zugriff, so dass sie keine tiefgreifenden Kenntnisse von den unterlagerten Systemen haben müssen. Der Programmierer eines Roboters kann auf Roboter-Fähigkeiten zurückgreifen, ohne jedes Detail der Antriebe kennen zu müssen. Äquivalent dazu kann ein Zellbediener die Zelle programmieren, ohne alle Details der Maschinen und Betriebsmittel kennen zu müssen.

Auf der Maschinenebene ist dieser Ansatz bereits etabliert und z.B. in der Programmierung einer CNC nach DIN 66025 / ISO 6983 oder der Motion Control (IEC 61131-3) umgesetzt. Mit dem Wandel hin zur Matrixproduktion muss dieses Prinzip ebenfalls auf Zellebene bereitgestellt werden. Wir am Fraunhofer IWU entwickeln deshalb im Rahmen des SE.MA.KI Projekts den Prototypen einer matrixfähigen Zellleitsteuerung. Die Funktionsweise wird an einer Matrixzelle mit Handlingsystemen und einer Werkzeugmaschine gezeigt. Die Matrixzelle ist dabei in einer »Virtuellen Inbetriebnahme (VIBN)-Umgebung« umgesetzt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den möglichst generisch gestalteten Schnittstellen hin zu den benachbarten Steuerungsebenen. Hierdurch soll eine Blaupause für Zellleitsteuerungen der in SE.MA.KI entwickelten Zellen und der Matrixproduktion entstehen.

Ausblick

Im Bereich der Zerspanung stehen mit CNC Steuerungen und CAM-Software Lösungen zur Verfügung, die am PC konstruierte Bauteile in einer digitalen Kette in von der Maschine interpretierbare NC-Programme umsetzen. Äquivalent dazu ist es das Ziel auch für die Matrixproduktion eine digitale Prozesskette zu erarbeiten welche den gewünschten Fertigungsauftrag produktindividuell und automatisiert in ein von den Steuerungen interpretierbare Programme umwandelt. Der nächste logische Schritt dazu ist die Entwicklung eines Planungs-Tools, welches die Anforderungen seitens der Produkte mit den Fähigkeiten der Matrixzelle verbindet und so eine Zuordnung Betriebsmittel-Produkt einschließlich der Programmgenerierung erstellt. Auf dieses Ziel arbeiten wir vom Fraunhofer IWU gemeinsam mit den Partnern aus SE.MA.KI hin.

Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Förderkennzeichen: L1FHG42421). Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor:innen.